Wenn Kunst und Technologie authentische Kopien entstehen lassen
Ab dem 17. September 2021 wird in den EPFL Pavilions die aufsehenerregende Ausstellung "Deep Fakes: Art and Its Double", zu sehen sein. Die Ausstellung ist von der EPFL und der Universität Lausanne organisiert. Durch den kombinierten Einsatz von künstlicher Intelligenz und den neuesten wissenschaftlichen Bildgebungstechnologien taucht sie das Publikum in die Tiefen des künstlerischen und kulturellen Doppels ein.
Ein Porträt von Rembrandt, das weder ganz identisch noch ganz anders ist, ein echter Picasso, der einer Gemeinschaft von 25’000 Internetnutzenden gehört, ein interaktiver 3D-Spaziergang auf dem Dach von Notre-Dame de Paris aus Assassin's Creed, ein virtuelles goldenes Kalb auf seinem Sockel oder die eigene Identität, die von einem mit künstlicher Intelligenz gesteuerten Hologramm verkörpert wird. Die Ausstellung Deep Fakes: Art and Its Double lässt uns buchstäblich in das transzendente Universum “kultureller Deep Fakes”, scheinbare Kopien, vermeintlicher Doppelgänger oder inspirierter Kreationen eintauchen, die durch Spitzentechnologien in den Bereichen Bildgebung, virtuelle, erweiterte oder gemischte Realität und künstliche Intelligenz ermöglicht werden. Die Ausstellung wird am 17. September 2021 eröffnet und ist bis zum 6. Februar 2022 in den EPFL Pavilions auf dem Campus der EPFL in Lausanne zu sehen.
«Die Ausstellung ist das Ergebnis einer mehrjährigen Mitverfolgung neuer kreativer Praktiken in der Welt der Informationstechnologie. Erst in jüngster Zeit haben Kunstschaffende und Produzentinnen und Produzenten begonnen, das Potenzial der computergestützten Produktion und der neuen Kunstformen voll auszuschöpfen», erklärte Sarah Kenderdine, Kuratorin und Direktorin von EPFL Pavilions. Kunstobjekte wurden im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder kopiert. Überall auf der Welt, in heiligen Stätten, Museen oder in Privathaushalten, ermöglichen Repliken die Verbreitung von Kunstschätzen und verstärken den sozialen, kulturellen, spirituellen oder kommerziellen Wert eines Originalobjekts. Heute scheinen Kopien von Kunstwerken mehr denn je den Status ihrer Originale zu bedrohen. Doch wie schon Mitte des 19. Jahrhunderts wirft die Replik faszinierende Grundsatzfragen auf.
Am Eingang zu Pavilion B steht ein Faksimile der 1867 verfassten Konvention zur universellen Förderung von Reproduktionen von Kunstwerken zum Nutzen der Museen in der ganzen Welt (Convention for promoting universally reproductions of works of art for the benefit of museums of all countries) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Hier geht es nicht um Manipulation oder Desinformation, nicht um Wahrheit oder Lüge. Vielmehr handelt es sich um Simulakren, Rekonstruktionen, Imitationen, Spiegelwelten, die sowohl durch ihre Gestaltungstechniken als auch durch ihre Darstellungen nicht nur die Materialität, die Authentizität, die Zirkulation oder den Besitz in der Kunst, sonden auch das Kulturerbe und die Kultur im weiteren Sinne in Frage stellen.
An erster Stelle ist hier die Materialität zu nennen. Die Wissenschaft und ihre technologischen Entwicklungen, von denen viele aus den Labors der EPFL stammen, bringen uns in eine taktile Beziehung zur Textur, Patina, Form und 3D-Struktur der Originale. Man betritt über einen Touchscreen mit einer ultrahohen Auflösung von 1200 dpi virtuell ein Porträt von Heinrich VIII, das von einem anonymen Künstler zwischen 1535 und 1540 gemalt wurde. In seinem rechten Auge ist ein azurblauer Punkt zu sehen. Im dritten Teil dieses Triptychons zeigt ein hochauflösender Röntgenfluoreszenz-Scan (XRF) des Werks die chemische Zusammensetzung der verwendeten Pigmente und der enthaltenen Schwermetalle. In diesem Millimeter Blau sind Pigmente auf Kupferbasis enthalten, dieselben Pigmente, die auch in anderen der zahlreichen Darstellungen des Königs von England in den grossen Museen zu finden sind!
Erst in jüngster Zeit haben Kunstschaffende und Produzentinnen und Produzenten begonnen, das Potenzial der computergestützten Produktion und der neuen Kunstformen voll auszuschöpfen.
Rekonstruktion verschwundener Welten
Immaterialität ebenso. Digitale Faksimiles und virtuelle Rekonstruktionen führen uns zurück zu Ereignissen oder Welten, die verschwunden sind oder zerstört wurden. Am 9. September stürzte die Statue des Konföderierten-Generals Robert E. Lee in der Innenstadt von Richmond, Virginia, vom Sockel. Terry Kilbys interaktive Installation Speaking Back, die auf zwei 3D-Modellen der Statue basiert, ist ein einzigartiges Zeugnis für den Eifer der Black-Lives-Matter-Demonstranten und dafür, wie einem Symbol des Hasses neue Stärke verliehen wurde.
Clouds of the ancient world erforscht acht Gründungsstätten antiker Zivilisationen oder Kulturen anhand von 3D-Punktwolken, die mit einer Drohne aufgenommen wurden. Das Bamiyan-Tal, Aleppo, Gizeh, Meroe oder Palmyra sind heute durch die jüngsten Konflikte beschädigt oder bedroht, aber ihre Digitalisierung macht sie unvergänglich. Dank einer Zusammenarbeit mit der Universität Lausanne, Recreated Reality, im Pavilion A, präsentiert die digitalisierten Archive von Paul Collart, der in den 1950er Jahren die erste schweizer Ausgrabung des antiken Heiligtums von Baalshamin in Palmyra verewigte. Diese aussergewöhnlichen Dokumente haben eine umfassende 3D Rekonstruktion der Stätte ermöglicht, die den 2015 vom Islamischen Staat zerstörten Tempel wieder auferstehen lässt.
Gefühle und Emotionen
Die Ausstellung führt uns durch Zeit, Raum und Kulturen. Zum Einsatz kommen kontrollierte Technologien, die diese gleichzeitig auch befreien. Helin beispielsweise, ein Werk des Künstlers Christian Mio Loclair, ist eine Skulptur aus Carrara-Marmor, die aus 3D-Scans von 120’000 Büsten aus allen Epochen hergestellt wurde. Sie wurden verwendet, um einen maschinellen Lernalgorithmus zu trainieren, der ein natürliches und greifbares Artefakt erzeugt, ein Werk ohne Autor, das der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Aussergewöhnlich ist auch die Anwesenheit von The Next Rembrandt, einem der bisher bekanntesten “kulturellen Deep Fakes”. Dieser atemberaubende 3D-Druck wurde vollständig aus den Daten der Gemälde des niederländischen Meisters generiert und nutzt Technologie und Daten auf die gleiche Weise, wie Rembrandt seine Pinsel und Farben einsetzte, um etwas Neues zu schaffen.
Diese technischen Errungenschaften wären alle umsonst, wenn Deep Fakes: Art and Its Double nicht auch unsere Sinne und Gefühle berühren würde. Es ist unmöglich, die 21 vorgestellten Installationen zu beschreiben, da jede einzelne auf ganz persönliche und sinnliche Weise gelebt, erforscht und erfahren wird. Um das virtuelle goldene Kalb zu sehen, ist es unerlässlich, es in einem «Tanz der Verehrung» umrunden. Um die Figuren in den «Tausend-Buddha-Höhlen» Nummer 220 zu sehen, muss man sich die verblassten Gemälde in diesem dunklen Raum ansehen. Es ist schon fast ein bisschen unangenehm, mit einer 3D-Brille auf den Strebepfeilern von Notre-Dame de Paris zu laufen. Aber am verwirrendsten ist sicherlich das Gesicht von TRUTHAI, das mittels heimtückischen und perversen Spiels unser Bild stiehlt...
EPFL und Universität Lausanne
Wichtige Partner
Loterie Romande, Office Fédéral de la Culture, Fondation pour l’Université de Lausanne
Partner
Société Académique Vaudoise, Foundation Leenaards, UBS Culture Foundation, SICPA
Beitragende
Advanced Imaging Technology Research Center (AITReC), ArcTron 3D, Art Gallery of New South Wales, ARTMYN, Bauhaus-Universität Weimar, Collart-Palmyre Project of Université de Lausanne, Consensive, CultLab3D at Fraunhofer Institute, Digital Projection, EPFL Laboratory for Experimental Museology, Iconem, Sarah Kenderdine, Terry Kilby, Oliver Laric, Bernd Lintermann and Florian Hertweck, Christian Mio Loclair, Pablo Picasso, QoQa, Remaking Confucian Rites Project and Centre for Chinese Ritual Studies of Tsinghua University, Samurai Art Museum, ScanLAB Projects, Jeffrey Shaw, Eve Sussman | Rufus Corporation and Snark.art, Ubisoft, Victoria and Albert Museum, Wunderman Thompson, Andrew Yip.