Kreislaufwirtschaft und Innovation: Lösungen für die Welt von morgen
Sechzig 18- bis 23-Jährige aus der ganzen Welt haben sich Anfang Februar an der EPFL zusammengefunden, um am 12. International Swiss Talent Forum von «Schweizer Jugend forscht» teilzunehmen. Nach einer Woche intensiver Arbeit haben sie innovative Lösungen im Bereich der Kreislaufwirtschaft vorgelegt.
Ressourcen abbauen, einen Gebrauchsgegenstand herstellen, ihn wegwerfen, wenn er das Ende seiner Nutzungsdauer erreicht hat – oder, schlimmer noch, wenn wir ihn einfach nicht mehr brauchen: Das vorherrschende Paradigma der Linearwirtschaft hat seine Grenzen deutlich aufgezeigt, insbesondere in Sachen Ökobilanz. Dennoch ist eine Kursänderung für eine Vielzahl von Unternehmen schwierig. Wie können letztere dazu ermutigt werden, ihre Verfahren zu überdenken und den Übergang zu einem nachhaltigen Modell einzuleiten?
Mit genau diesen Fragestellungen und den damit verbundenen Herausforderungen haben sich sechzig junge Menschen im Alter von 18-23 Jahren, je zur Hälfte aus der Schweiz und aus dem Ausland, auseinandergesetzt. Sie alle hatten im Vorfeld verschiedene nationale Wissenschaftswettbewerbe gewonnen und kamen nun in kleinen Gruppen zusammen, in denen sich unterschiedliche Bildungsstufen (ein Teil kurz vor dem Gymnasialabschluss, ein anderer bereits mitten im Hochschulstudium), Geschlechter und Kulturen begegneten. Diese hatten weniger als eine Woche Zeit, um die Ärmel hochzukrempeln und innovative Lösungen für insgesamt fünf Challenges zu erarbeiten, die von «Schweizer Jugend forscht» in Zusammenarbeit mit mehreren Expertinnen und Experten lanciert wurden. Das Ganze fand im Rahmen des 12. International Swiss Talent Forum statt, das dieses Jahr in Zusammenarbeit mit dem Education Outreach Department (SPE) zum ersten Mal an der EPFL abgehalten wurde. «Die Ausbildung von verantwortungsbewussten Führungskräften für die Welt von morgen ist unserer Hochschule äusserst wichtig. Wir freuen uns daher sehr, an einer solchen Initiative mitwirken zu können», freute sich Ambrogio Fasoli, assoziierter Vizepräsident für Forschung, bei der Eröffnungszeremonie.
«Das ist eine tolle Gelegenheit, mal etwas ganz anderes zu machen», versichert Chiara, 22, eine Tessiner Biologiestudentin an der Universität Zürich. Und auch für die EPFL, die hier über Fachpersonen Know-how im Bereich der Kreislaufwirtschaft zur Verfügung stellen kann: Prof. Dr. Claudia Binder, Dekanin der Fakultät für Bau, Architektur und Umwelt (ENAC) und Ankita Singhvi, Doktorandin im Labor von Claudia Binder, beide Topic Leaders 2023.
Alte Gewohnheiten ablegen
Die Teilnehmenden wurden über den gesamten Zeitraum von professionellen Coaches betreut, welche sie bei der Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgabe unterstützten. So konnten sie einerseits die Gruppenarbeit besser angehen und andererseits hierfür erforderliche Querschnittskompetenzen erwerben und ausbauen. Gleichzeitig profitierten sie von den Ratschlägen der Topic Leaders: «Haben Sie keine Angst, über Ihre Fachbereiche und Ihr Wissen hinauszuwachsen», riet Claudia Binder ermutigend. «Für die Bewältigung einer solchen Herausforderung braucht es Führungskräfte, die einen Schritt weitergehen bzw. den Kurs ändern wollen – nur so kann eine Gruppe oder ein ganzes Unternehmen einen anderen Weg einschlagen», versicherte sie den Anwesenden, nachdem ein Student Kreislaufwirtschaft und Profit über einen Kamm geschoren hatte.
Unsere Zukunft wird von dem geprägt, was wir wertschätzen, von dem, was wir uns vorstellen sowie von den Menschen, die uns umgeben.
In ihrer Präsentation, die als Anregung für die anstehenden Überlegungen gedacht war, zeigte Claudia Binder auch die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels auf, sowohl für den Planeten als auch für mehr soziale Gerechtigkeit, und untermauerte dies mit Zahlen: «Der Ressourcenverbrauch hat im Laufe der Zeit deutlich zugenommen und erweist sich als nicht nachhaltig. Nur 7,2% unserer Wirtschaft ist kreislauforientiert. Laut dem «Circularity Gap» würde eine globale Kreislaufwirtschaft unsere Bedürfnisse mit 70% der heute verwendeten Rohstoffe befriedigen.» Müssen wir also unser Wertesystem ändern? «Unsere Zukunft wird von dem geprägt, was wir wertschätzen, von dem, was wir uns vorstellen sowie von den Menschen, die uns umgeben», schloss die Leiterin des Laboratory for Human-Environment Relations in Urban Systems (HERUS).
Besteht diese Notwendigkeit auch jungen Menschen zufolge? «Die Erde ist rund, aber die Wirtschaft nicht», sagt Alessio, 19, aus Italien in philosophischer Manier und fährt fort: «Erfahrungen wie diese bringen uns dazu, unsere Komfortzone zu verlassen und gleichzeitig zu wachsen, zumal es jetzt an uns liegt, die Zukunft unseres Planeten innovativ zu gestalten.» «Ich bin überzeugt, dass die Kreislaufwirtschaft die Zukunft unseres Systems ist, mit vielen Vorteilen für die Umwelt», ergänzt Ahmed, 18, eigens aus Tunesien angereist.
Die Lösungen
Ein System überdenken, aus einer auf Rohstoffabbau und Abfallbeseitigung basierenden Wirtschaft aussteigen und konkrete Lösungen erarbeiten – dieser Herausforderung hatte sich jede Gruppe zu stellen. Da gab es zum einen den Vorschlag, einen modularen Schuh zu entwickeln, bei dem die einzelnen Materialien nicht miteinander verklebt sind, sondern zusammengesetzt werden können, ähnlich wie man LEGO-Bausteine zu einem stabilen Ganzen zusammenbaut. Ein anderer Vorschlag beinhaltete die Herstellung eines biologisch abbaubaren Schuhs aus Pilz-Myzel, also den im Boden befindlichen Pilzfäden, welche heute bereits in ökologischen Ziegelsteinen oder Dämmplatten verwendet werden.
In Sachen elektronische Haushaltsgeräte gab es Gruppen, die sich mit der Frage beschäftigten, wie man den Kauf eines instandgesetzten Geräts anstelle eines Neugeräts fördern kann – also z. B. einer Kaffeemaschine, deren defekte Teile repariert oder ersetzt werden und die dann zu einem günstigeren Preis wieder auf den Markt gebracht wird. Der QR-Code, der auf die Vorgeschichte des Geräts und seine einzelnen Instandsetzungen verlinkt, darf natürlich nicht fehlen. Ein weiteres Thema war die Herstellung von wiederverwendbaren modularen Verpackungen, die aus biologisch abbaubaren Rohstoffen auf Pflanzenbasis bestehen und Einwegkartons ersetzen sollen.
Die insgesamt zehn Vorschläge, die im Anschluss an die Präsentationen allesamt hochgelobt wurden, belegten das Interesse junger Menschen an diesem Fachbereich, an einer nachhaltigeren Welt und an Initiativen wie dem ISTF. «Dieses Forum ist auch eine Gelegenheit, um andere Menschen zu treffen, die sich um die Umwelt sorgen, ohne gleich Fachperson für das bearbeitete Thema zu sein», sagt Marti, 20, aus Barcelona. «Also um eine Menge neuer Dinge zu lernen», schliesst Adrien, 20, aus Zürich.
SPE-Schweizer Jugend forscht
Als nicht kommerziell orientierte, gemeinnützige Stiftung ist «Schweizer Jugend forscht» bestrebt, den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Schweiz zu fördern. Über diverse Angebote bietet sie jungen Menschen die Möglichkeit, die akademische und industrielle Welt zu erkunden, zu lernen, wie man ein Forschungsprojekt erfolgreich durchführt, sowie Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Kernthema der Zusammenarbeit mit dem Education Outreach Department (SPE) ist das International Swiss Talent Forum, das 2023 zum ersten Mal in der Westschweiz, auf dem Campus der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, stattfand. Darüber hinaus empfängt eine Vielzahl von EPFL-Laboren jene Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die an den Studienwochen von «Schweizer Jugend forscht» in den Disziplinen Informatik, Biologie & Medizin sowie Chemie & Materialwissenschaften teilnehmen.