Im Wettstreit mit Robotern
Schweizer Robotiker und Ökonominnen und Ökonomen der EPFL und der Universität Lausanne haben eine Softwarelösung entwickelt, die Benutzerinnen und Benutzern das Automatisierungsrisiko ihres Berufs aufzeigt und alternative Berufe mit tieferem Risiko und minimalem Umschulungsaufwand vorschlägt.
Wenn Menschen von «der Zukunft intelligenter Roboter» hören, stellen sie sich meist ein und dieselbe Frage: Wie viele Arbeitsplätze werden deswegen verschwinden? Wie auch immer die Antwort auf die erste Frage ausfällt, lautet die zweite Frage oft in etwa so: Wie kann ich sicherstellen, dass meine Arbeit nicht verschwindet?
In einer vor Kurzem in Science Robotics veröffentlichten Studie beantwortet ein Team von Robotikern der EPFL und Ökonominnen und Ökonomen der Universität Lausanne eben diese beiden Fragen. Sie kombinierten die wissenschaftliche und technische Literatur zu den Fähigkeiten von Robotern mit Beschäftigungs- und Lohnstatistiken. Basierend darauf entwickelten sie ein Programm, das für jeden der ausgewählten Berufe die Wahrscheinlichkeit berechnet, in naher Zukunft von Maschinen abgelöst zu werden. Das ist aber nicht alles: Das Tool schlägt auch alternative Berufe vor, die ein tieferes Automatisierungsrisiko und einen geringen Umschulungsaufwand aufweisen.
«Es gibt mehrere Studien, die Prognosen zur Anzahl Arbeitsplätze, die in naher Zukunft automatisiert werden, aufstellen. All diese Studien haben aber Software-Bots im Fokus, das heisst Sprach- und Bilderkennungsalgorithmen, virtuelle Finanzberater, Chatbots und so weiter. Darüber hinaus variieren ihre Prognosen stark, je nachdem, wie Arbeitsanforderungen und Softwarefähigkeiten bewertet wurden. In unserer Studie betrachten wir nicht nur KI-gestützte Software, sondern auch echte intelligente Roboter, die körperliche Arbeit verrichten. Wir haben eine Methode für den systematischen Vergleich der Fähigkeiten von Menschen und Robotern entwickelt, die in Hunderten von Berufen zum Einsatz kommen», so Prof. Dario Floreano, Direktor des Laboratory of Intelligent Systems der EPFL, der die Studie an der EPFL leitete.
Das innovative Mapping von Roboterfähigkeiten und Arbeitsanforderungen ist der Kern dieser Studie. Dazu stützte sich das Team auf ein Strategiedokument der EU-Kommission, die H2020 Robotic Multi-Annual Roadmap (MAR), die regelmässig von Expertinnen und Experten in der Robotik überarbeitet wird. Die MAR beschreibt Dutzende von Fähigkeiten, die von existierenden oder zukünftigen Robotern verlangt werden können. Sie fallen in Kategorien wie: Bewegungen, Wahrnehmung, Sensorik und Interaktionen mit Menschen. Die Forschenden analysierten Forschungsarbeiten, Patente und Beschreibungen von Roboterprodukten, um den Reifegrad der Roboterfähigkeiten zu beurteilen. Zur Messung des Entwicklungsstandes der Technologien benutzten sie die bekannte Skala «Technology Readiness Level» (TRL).
Hinsichtlich der menschlichen Fähigkeiten stützten sie sich auf die O*net-Datenbank, die auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt häufig zum Einsatz kommt. Sie klassifiziert etwa 1000 Berufe und schlüsselt die Fähigkeiten und Kenntnisse auf, die für diese am wichtigsten sind.
Zuerst glich das Team die menschlichen Fähigkeiten der O*net-Liste selektiv mit den Roboterfähigkeiten aus dem MAR-Dokument ab. Basierend darauf konnten die Forschenden für alle zur Auswahl stehenden Berufe einen individuellen «Automation Risk Index» (Automatisierungsrisikoindex) berechnen, der Auskunft darüber gibt, wie wahrscheinlich es ist, dass der Beruf in naher Zukunft von einem Roboter ausgeführt wird. Nehmen wir zum Beispiel an, dass ein Mensch in einem bestimmten Beruf millimetergenaue Bewegungen ausführen muss. Es ist nicht verwunderlich, dass der TRL für diese Fähigkeit bei den Robotern sehr hoch ist, denn Roboter sind sehr gut darin, präzise Bewegungen auszuführen. Ein Beruf, der einige solche Fähigkeiten erfordert, hat ein höheres Automatisierungsrisiko im Vergleich zu einem Beruf, der kritisches Denken oder Kreativität voraussetzt.
Das Ergebnis der Studie ist eine Rangliste von 1000 Berufsfeldern, wobei «Physiker/in» den tiefsten Automatisierungsrisikoindex hat. Am anderen Ende des Spektrums ist das Berufsfeld «Schlachten und Fleischverpacken». Es ist dem höchsten Risiko ausgesetzt, in naher Zukunft von einem intelligenten Roboter ersetzt zu werden. Im Allgemeinen haben Berufe in der Lebensmittelverarbeitung, im Bau und in der Instandhaltung, in der Konstruktion und der Gewinnung die höchsten Risikoindizes.
«Die Gesellschaft von heute steht vor der zentralen Herausforderung, im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung widerstandsfähiger werden zu müssen», so Prof. Rafael Lalive, der die Studie an der Universität Lausanne co-geleitet hat. «Im Rahmen unserer Arbeit können wir Arbeitnehmenden, die einem hohen Automatisierungsrisiko ausgesetzt sind, eine detaillierte Berufsberatung anbieten. Mit diesem Wissen können sie zu ‹sichereren› Berufen wechseln, ohne dabei alle bisher erworbenen Fähigkeiten zu verlieren. Auch Regierungen können mit diesen Einblicken und Ratschlägen die Gesellschaft als Ganzes dabei unterstützen, angesichts der Automatisierung widerstandsfähiger zu werden.»
Die Autorinnen und Autoren haben zudem ein Programm entwickelt, das berufliche Alternativen mit signifikant tieferen Automatisierungsindizes vorschlägt. Dabei wird der Umschulungsaufwand berücksichtigt: Die vorgeschlagenen Berufsfelder erfordern vergleichbare Fähigkeiten und ähnliches Hintergrundwissen, sodass der Berufswechsel umsetzbar ist. Um zu testen, ob sich das Programm in der Praxis bewähren könnte, haben die Forschenden mit dem Algorithmus Tausende von Karriereschritten basierend auf Daten des US-Arbeitsmarktes simuliert. Sie konnten feststellen, dass Arbeitnehmende in den Berufen mit den höchsten Risikoindizes tatsächlich ohne grossen Schulungsaufwand zu Berufen mit mittlerem Risiko wechseln können würden
Das Programm könnte in den verschiedensten Sektoren Anwendung finden: Regierungen könnten die Anzahl der Arbeitnehmenden, die mit Automatisierungsrisiken konfrontiert sind, berechnen und daraufhin Umschulungsrichtlinien anpassen. Unternehmen könnten die mit der Automatisierung verbundenen Kosten berechnen. Hersteller im Robotikbereich könnten basierend auf den Insights ihre Produkte besser auf die Marktbedürfnisse anpassen. Und die Arbeitnehmenden könnten die Informationen nutzen, um sich auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich neu zu positionieren.
Die Autorinnen und Autoren kreierten basierend auf den Methoden und Daten der Studie einen Algorithmus, der das Automatisierungsrisiko für Hunderte von Berufen prognostiziert und sinnvolle Alternativen vorschlägt, die keinen grossen Umschulungsaufwand benötigen. Die Softwarelösung ist unter folgendem Link zu finden: http://lis2.epfl.ch/resiliencetorobots