"Ich denke, unser Spin-off wird den Weg von Logitech gehen"

Amin Shokrollahi, Gründer und CEO von Kandou © 2020 Alain Herzog
Das Spin-off Kandou Bus hat bekannt gegeben, seine dritte Finanzierungsrunde auf 92 Millionen erhöht zu haben. Damit hat das Unternehmen seit seiner Gründung 2011 mehr als 130 Millionen Kapital beschafft und befindet sich unter den fünf EPFL-Spin-offs mit den höchsten Beträgen. Die von ihm entwickelten Chips sind von entscheidender Bedeutung bei der Datenübertragung: Steigerung der Übertragungsgeschwindigkeit bei geringerem Energieverbrauch. Gründer und CEO Amin Shokrollahi ist überzeugt: Seine Erfindung besitzt das Potenzial, in rund zehn Jahren alle Kommunikationssysteme einschliesslich Satelliten auszurüsten. Hier sein Interview:
Diese 92 Millionen, von denen 56 im Jahr 2019 und der Rest 2020 beschafft wurden, kamen trotz der Gesundheitskrise und ihrer wirtschaftlichen Folgen zusammen. Was ist Ihr Geheimnis?
Gerade wegen der Pandemie haben wir beschlossen, unsere dritte Finanzierungsrunde einfach zu verlängern statt eine neue zu starten. Es handelt sich um die gleichen, hauptsächlich schweizerischen Investoren sowie einige andere, die von ihnen eingebracht wurden. So mussten wir nicht zahlreiche und in der aktuellen Gesundheitslage komplizierte Präsentationen machen, um sie zu überzeugen.
2011 haben Sie als EPFL-Professor in Ihrem Labor Ihre erste patentierte Innnovation entwickelt: einen Algorithmus, der die Informationsverarbeitung durch die als Bus bezeichneten Übertragungswege in der Informatik revolutioniert. Kam Ihnen sofort die Idee, ein Start-up zu gründen, und war Ihnen gleich klar, dass dieses schnell wachsen würde?
Als unser System zum ersten Mal funktionierte, entstand innerhalb einer Stunde der Wunsch, ein Start-up zu gründen. Für mich war von Anfang an klar, dass dies der Ausgangspunkt für hervorragende wissenschaftliche Artikel sein könnte, aber es hat sich bald erwiesen, dass man das am besten über die Gründung eines Unternehmens zeigen kann. Das Wachstum war allerdings sehr viel langsamer als in der ursprünglichen Planung vorgesehen: ein paar Monate Entwicklung in den EPFL-Laboren, ein Prototyp in weniger als einem Jahr, eine Kapitalbeschaffung im Folgejahr, um aus dem System ein industrialisierbares Produkt zu machen etc. Wir wollten nach vier Jahren da sein, wo wir jetzt stehen. Wenn aber der Anwendungsbereich einer Erfindung erst noch geschaffen werden muss, wie es bei uns der Fall war, ist es wie wenn man mit den Skiern nachts einen unebenen Abhang hinunterfahren würde und nur eine Taschenlampe zur Beleuchtung hätte. Man sieht nur zwei Meter voraus und muss ständig extrem schnell reagieren, sich anpassen und darauf achten, dass man nicht hinfällt. Unter diesen Umständen braucht man Zeit, um seinen Weg zu finden.
Welches waren die kritischen Phasen Ihres Unternehmens?
Wir haben das Glück, über eine horizontale Technologie zu verfügen. Diese betrifft alle Aspekte der Computerbauteileindustrie und ist nicht auf einen bestimmten Sektor beschränkt. Die Kehrseite der Medaille ist die anfängliche Schwierigkeit, den Markt zu sondieren und zu entscheiden, welcher Anwendung man sich zuerst widmen soll. In dieser Phase, die drei Jahre gedauert hat, bewegten wir uns unter dem Radar und verrieten niemandem, was wir entwickelten. Glücklicherweise vertraute uns der CEO eines amerikanischen Start-ups, das schon lange zu einem multinationalen Unternehmen geworden war. 2012 lieh er uns 10 Millionen, damit wir überleben konnten. 2014 stellten wir dann an einer bedeutenden Fachkonferenz einen Artikel vor. Ein Vertreter der auf die Halbleiterherstellung spezialisierten Firma Marvell war von unserem System begeistert. Es dauerte weitere zwei Jahre, um den ersten Vertrag abzuschliessen, der die Expansion des Unternehmens wirklich in Gang setzte.
In der Schweiz gibt es nur wenige erfolgreiche Start-ups im Informatikbereich. Was sind die Vorteile, auf dem EPFL-Campus zu bleiben?
Erstens – und das ist wichtig – wohne ich hier. Mir gefällt diese Region. Ausserdem ist die Tatsache, dass es hier wenige IKT-Unternehmen gibt, ein Vorteil. So ist es sehr viel einfacher, seinen eigenen Weg zu gehen. In einem Umfeld wie dem Silicon Valley gibt es so viele Erfolge, dass die Jungunternehmen sie nachahmen wollen, um den Segen der einschlägigen Kreise zu erhalten. Das ist aber nicht unbedingt der beste Weg zum unternehmerischen Erfolg. Dadurch, dass wir weit von diesem Mikrokosmos und den damit verbundenen Diskussionen entfernt sind, haben wir vielleicht etwas leicht Rätselhaftes, das uns bei den Verhandlungen einen Vorteil verschafft. Der EPFL-Campus war von Anfang an eine strategische Entscheidung. Ich war Professor und musste schnell von der Firma in mein Büro gelangen können. Jetzt verleiht es uns aber einen klaren Vorteil, um aus dieser Hochschule hervorgehende Talente einzustellen und nahe an der Forschung zu bleiben.
Was werden Sie mit dieser beträchtlichen Kapitalspritze entwickeln?
Als Erstes wollen wir im Frühling 2021 unseren ersten Chip für alle USB-C-Verbindungen vermarkten. Dieser ermöglicht eine schnellere und energieärmere Datenübertragung zwischen allen Arten von Geräten (Smartphones, Computer, externe Festplatten etc.). Wir befinden uns zurzeit in der letzten Entwicklungsphase dieser Version im gehobenen Segment. Anschliessend wird es im nächsten Jahr weitere Chip-Versionen für ein breiteres Zielpublikum geben. Das ist unser erstes in grossen Mengen vertriebenes Produkt.
Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in zehn Jahren? An der Börse? Ist Kandou das nächste Logitech?
Bezüglich Erfolg glaube ich, dass Kandou Bus den Weg von Logitech einschlagen wird. Ich will die Chips liefern, mit denen alle im Alltag von uns zum Kommunizieren verwendeten Geräte ausgerüstet sind. Sie werden wahrscheinlich sogar in die Satelliten eingebaut werden. Der Unterschied zu Logitech ist im Augenblick, dass sie Systeme mit Komponenten bauen, während wir Letztere entwerfen. Im nächsten Schritt in zehn Jahren werden wir sie selber bauen.
Bezüglich der wirtschaftlichen Zukunft wollen wir ein unabhängiges Unternehmen bleiben. Als CEO muss ich auf die Rendite der Investoren und künftigen Aktionäre achten, aber als Gründer habe ich eine starke Verbindung zu diesem Unternehmen und möchte es so lange wie möglich begleiten. Ein Börsengang wäre der beste Weg, um diese beiden Dinge zu kombinieren.