Grönländische Fjord-Ökosysteme Gegenstand neuer Forschung

Die Fjord-Region im Südwesten Grönlands beherbergt nährstoff- und fischreiche Gewässer. ©iStock

Die Fjord-Region im Südwesten Grönlands beherbergt nährstoff- und fischreiche Gewässer. ©iStock

Im Rahmen eines vierjährigen Feldforschungsprogramms, das unter Federführung der EPFL in Zusammenarbeit mit mehreren Schweizer Einrichtungen durchgeführt wird, wollen Wissenschaftler*innen herausfinden, welche Rolle der Klimawandel für die Entwicklung der Fjord-Ökosysteme Grönlands spielt. Konkret soll untersucht werden, wie die beschleunigte Gletscherschmelze und Bodenerosion den Nährstoffzyklus der Fjorde, die marinen Ressourcen, die Bildung von Wolken und die Existenzgrundlage lokaler Bevölkerungen beeinflusst.

Die Fjord-Region im Südwesten Grönlands beherbergt nährstoff- und fischreiche Gewässer. Die Fischerei ist seit tausenden von Jahren die Haupterwerbsquelle der Menschen in dieser Gegend. Aufgrund des Klimawandels durchläuft das Ökosystem eine rasante Transformation, und diese Dynamik stellt die lokale Bevölkerung vor einige gewaltige Herausforderungen. Die Gletscher Grönlands schmelzen gegenwärtig und schwemmen neuartige Nährstoffe in die Gewässer, die wiederum grössere Phytoplanktonblüten begünstigen und das gesamte marine Ökosystem verändern. Im Gegenzug verändern sich die chemische Zusammensetzung und die Wolkenbildungsmechanismen in der Atmosphäre. Diese Wolken sind von entscheidender Bedeutung für den Strahlungshaushalt an der Oberfläche und die Gletscherschmelze. Kurz: Der Klimawandel wirkt sich auf das gesamte Ökosystem aus. Was also wird in den nächsten Jahren auf die Grönländer*innen zukommen?

Dies ist eine der zahlreichen Fragen, auf die das vierjährige interdisziplinäre Forschungsprogramm «GreenFjord» eine Antwort finden will. Start des Programms ist am 9. März 2022. GreenFjord zählt zu den beiden Leitinitiativen des Swiss Polar Institute der nächsten vier Jahre. Schwerpunkt der anderen Initiative mit dem Titel PAMIR ist das Pamir-Gebirge in Zentralasien. Für die EPFL wird Julia Schmale, eine Tenure-Track-Assistenzprofessorin der Fakultät für Bau, Architektur und Umwelt (ENAC) der EPFL, die auf dem EPFL Valais Wallis Campus beheimatet ist, die Forschung im Rahmen von GreenFjord leiten. Dem Forschungsteam werden ferner Wissenschaftler*innen der Universität Lausanne, der ETH Zürich, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) sowie der Universität Zürich angehören. Weitere Unterstützung wird das Swiss Data Science Center leisten.

Julia Schmale. © EPFL

Veränderungen des Ökosystems vorhersagen
Ziel ist, das Ökosystem der Fjorde vor dem Hintergrund des Klimawandels besser zu verstehen und folglich die Computermodelle zu verbessern, anhand derer Wissenschaftler*innen künftige Veränderungen des regionalen Ökosystems und Klimas vorhersagen können, wobei Faktoren wie die Gletscherschmelze und Veränderungen der Nahrungskette und des Kohlenstoffzyklus berücksichtigt werden. «Wir werden auch mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeiten, um die Folgen des Klimawandels für sie zu verstehen – das ist für uns ein sehr wichtiger Aspekt des Projektes», erklärt Schmale hierzu. « Zudem wollen wir ein besseres Verständnis davon erhalten, wie sich die Kohlenstoff- und Nährstoffzyklen verändern und inwieweit sich dies auf die Artenvielfalt in der Atmosphäre, an Land und im Ozean auswirkt. Letztendlich wollen wir die Artenvielfalt der Mikro- und Makrofauna besser erforschen und verstehen, wie sich das Nahrungsnetz und möglicherweise die Fischbestände künftig verändern könnten.»

Sechs Forschungscluster
Neben Freilandmessungen werden die Wissenschaftler*innen auch umfassende Gespräche mit Einheimischen führen, um ihre aktuellen und künftigen Bedürfnisse zu ermitteln und zu klären, wie abhängig menschliche Ansiedlungen vom Ökosystem der Fjorde sind. Diese menschliche Dimension ist neben der Kryosphäre, dem Ozean, der Atmosphäre, dem Festland und der Biosphäre einer der sechs Forschungscluster. Im Rahmen des Kryosphäre-Clusters werden das Phänomen der «kalbenden» Gletscher und dessen Folgen für die marine Dynamik der Fjorde und die Nährstoffzirkulation untersucht. Schwerpunkt des Ozean-Clusters werden die physikalischen, biogeochemischen und mikrobiologischen Eigenschaften von Fjord-Systemen mit Meeres- und Landgletschern sein, um künftige Veränderungen im Ozean vorwegzunehmen. Die Studie wird von einem Forschungsschiff aus mit hochmodernen

Dies wird das erste Mal sein, dass das gesamte regionale Ökosystem unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension erforscht wird.

Julia Schmale, Tenure-Track-Assistenzprofessorin

Geräten durchgeführt.
Im Forschungscluster Atmosphäre ist vorgesehen, dass die Wissenschaftler*innen mit einem Fesselballon und damit dem wichtigsten Messinstrument Schmales Wolkenpartikel marinen und terrestrischen Ursprungs untersuchen. An diesem Cluster wird das Laboratory of Atmospheric Processes and their Impacts (LAPI) der Fakultät ENAC unter der Leitung von Prof. Athanasios Nenes beteiligt sein. Im Rahmen des Festlandclusters wird sich das Forschungsteam mit der Freisetzung von Sedimenten, Nährstoffen und Kohlenstoff durch Bodenerosion in den Ozean befassen und klären, inwieweit durch Bodenerosion möglicherweise Aerosole entstehen. Ziel des Biosphäre-Clusters schliesslich ist die Analyse von DNA-Proben, die im Rahmen der Cluster Kryosphäre, Ozean, Festland und Atmosphäre gesammelt werden, um den gegenwärtigen Zustand der Artenvielfalt und deren Veränderungen durch die Transformation von Fjord-Systemen sowie deren mögliche Weiterentwicklung in der Zukunft einzuschätzen.
Fokus auf den Folgen für den Menschen

«Dies wird das erste Mal sein, dass das gesamte regionale Ökosystem unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension erforscht wird», so Schmale weiter. «Dies macht unser Projekt einzigartig und ist charakteristisch für unseren Ansatz, eine Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen miteinander zu verknüpfen.»


2022–2025-Forschungsprogramm
2022
Sommer: Feldforschung
2023
Sommer: Probenahme in der gesamten Region (Gletscher, Bäche, Aerosole, Boden und Ozean) und Austausch mit Einheimischen.
2024
Sommer: Probenahme in der gesamten Region (Gletscher, Bäche, Aerosole, Boden und Ozean) und Austausch mit Einheimischen.
2025
Auswertung der Daten.
Finanzierung

Swiss Polar institute, 1.5 MIllion Schweizer Franken


Autor: Sandrine Perroud

Source: EPFL

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