Eine kostengünstige Lösung für flüssigeren Strassenverkehr

Staus während der Hauptverkehrszeiten. © Istock/Ollo
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL und der ETH Zürich haben ein neues Verkehrsmodell entwickelt, mit dem Staus auf Autobahnen in grossen Ballungsgebieten zu Stosszeiten reduziert werden können. Das System ist sowohl effizient als auch fair.
Die Reduktion von Staus auf Autobahnen zu Stosszeiten ist noch immer eine grosse Herausforderung. Um hier Abhilfe zu schaffen, haben Stadtplanerinnen und -planer unterschiedliche, immer ausgefeiltere Rechenmodelle für Verkehrsprognosen entwickelt. In verschiedenen Regionen der Welt wird viel Zeit im Stau verschwendet. Einer Studie zufolge verbringen amerikanische Autofahrerinnen und -fahrer beispielsweise im Durchschnitt 99 Stunden pro Jahr in Staus. In Grossbritannien sind es sogar 115 Stunden. Kenan Zhang, Tenure-Track-Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften (ENAC) der EPFL und Leiterin des Labors für menschenorientierte Mobilitätsökosysteme (HOMES), hat das Problem gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der ETH Zürich in Angriff genommen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ein neues effizientes, vor allem aber für die Autofahrerinnen und -fahrer kostenfreies und daher faires Verkehrsmodell entwickelt. Über ihre Ergebnisse berichten sie in der Fachzeitschrift Transportation Science.
Ihr Verkehrsmanagementmodell CARMA wurde mit dem Ziel entwickelt, speziell Staus auf Autobahnen zu Stosszeiten zu reduzieren, wenn die Pendlerinnen und Pendler aus einer Region alle zur gleichen Zeit in die Innenstadt fahren. In diesem Szenario haben Fahrerinnen und Fahrer zwei Möglichkeiten: Entweder sie benutzen den langsamen Fahrstreifen, auf dem es häufig zu Staus kommt, oder den schnellen Streifen. Für Letzteren stehen ihnen Mobilitätsgutschriften zur Verfügung, die sie anfordern können, wenn sie es eilig haben. Am Ende jedes Tages werden die Gutschriften, die zur Nutzung des «Überholstreifens» verwendet wurden, im System von CARMA erneut an alle Fahrerinnen und Fahrer verteilt. «Bei den klassischen Verkehrsmodellen für Stosszeiten wird davon ausgegangen, dass alle jeden Tag zur selben Zeit an ihrem Arbeitsplatz ankommen müssen. Wir gehen etwas flexibler mit dieser Hypothese um und nehmen an, dass Pendlerinnen und Pendler es an einigen Tagen weniger eilig haben als an anderen. Das spiegelt die Realität besser wider und sorgt dafür, dass unser System langfristig funktioniert», erklärt Kenan Zhang. Die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer können also entscheiden, ob sie ihre Gutschriften für Tage aufheben wollen, an denen sie es wirklich eilig haben.
Bei den klassischen Verkehrsmodellen für Stosszeiten wird davon ausgegangen, dass alle jeden Tag zur selben Zeit an ihrem Arbeitsplatz ankommen müssen. Wir gehen etwas flexibler mit dieser Hypothese um und nehmen an, dass Pendlerinnen und Pendler es an einigen Tagen weniger eilig haben als an anderen. Das spiegelt die Realität besser wider und sorgt dafür, dass unser System langfristig funktioniert.
Fairness und Schutz von Personendaten
Eine weitere Besonderheit des CARMA-Modells ist, dass die Mobilitätsgutschriften keinen kommerziellen Wert haben. Menschen mit geringem Einkommen werden daher nicht benachteiligt. Auch auf den Schutz ihrer Personendaten wird geachtet. Viele der heute in Städten eingesetzten Systeme basieren auf Tarifen, die während der Stosszeiten höher und zu anderen Tageszeiten niedriger sind. «Wer viel verdient, kann es sich leisten, die höheren Tarife zu zahlen. Personen mit geringem Einkommen müssen wählen, ob sie später oder früher losfahren wollen, um sie zu vermeiden. Solche Systeme sind einfach nicht fair.» Die aktuellen Verkehrsmanagementmodelle stützen sich ausserdem auf Daten, die von Pendlerinnen und Pendlern über ihre Gewohnheiten erhoben werden, um Mauttarife festzulegen, welche die Staus zu Stosszeiten reduzieren. So werden sie beispielsweise befragt, wie lange sie bereit sind, in Staus zu stehen, oder wann sie normalerweise zur Arbeit aufbrechen. Bei CARMA ist die Erhebung solcher Personendaten nicht notwendig.
«Unsere Ergebnisse sind mathematisch belegt und zeigen, dass wir die Staus auf diese Weise ebenso gut reduzieren können wie mit einem gebührenpflichtigen System. Es ist ausserdem fairer und verzichtet auf Personendaten», sagt Kenan Zhang. Der nächste Schritt besteht im Einsatz des Modells in einem realistischen Szenario. «Wir werden auch versuchen, die Art und Weise zu optimieren, wie wir diese Gutschriften verteilen.» Bis dahin gibt CARMA Stadtplanerinnen und -planern bereits konkrete Denkanstösse.