Bauen aus Beton – ohne zu Betonieren

La passerelle en béton. © EPFL

La passerelle en béton. © EPFL

Forscher der EPFL haben einen Prototypen für eine Fussgängerbrücke aus Stahlbetonblöcken gebaut, die aus den Wänden eines zu renovierenden Gebäudes stammen. Die Blöcke wurden vor Ort in einzelne Stücke gesägt und anschliessend zu einem vorgespannten Bogen zusammengesetzt. Dieses Projekt, bei dem zum ersten Mal Beton auf diese Weise wiederverwendet wurde, ist Teil einer Forschungsinitiative, die darauf abzielt, den CO2-Fussabdruck der Bauindustrie durch die Anwendung der Kreislaufwirtschaft erheblich zu verringern. Die Fussgängerbrücke wird am 11. Oktober im Smart Living Lab in Fribourg eingeweiht.


"Die Baubranche zögert, Beton wiederzuverwenden, weil sie einige Bedenken hat", sagt Corentin Fivet, Tenure-Track Assistenzprofessor an der EPFL und Leiter des Structural Xploration Lab (SXL) im Smart Living Lab. "Wir wollten jedoch zeigen, dass diese Bedenken weitgehend unbegründet sind. Betonblöcke, die für die Wiederverwendung ausgewählt wurden, sind genauso zuverlässig und nützlich wie neue Blöcke."

Fivet befasst sich seit Jahren mit potenziellen Anwendungen der Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie. Sein Team am SXL, das zur Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen (ENAC) der EPFL gehört, befasste sich zunächst mit der Wiederverwendung von Metallbauteilen und wendet sich nun auch dem Beton zu. Bei ebendiesem Projekt ging es darum, eine 10 Meter lange Fussgängerbrücke aus 25 Betonblöcken zu bauen, die aus Wänden stammen, welche abgerissen werden sollten. Die beteiligten Ingenieure haben mittlerweile die Belastungsprüfung der neuen Struktur abgeschlossen, sodass sie für die Einweihungszeremonie in der Halle Bleue des Smart Living Lab am 11. Oktober bereit ist.

Details. © 2021 EPFL

Jan Brütting, seit kurzem am SXL promoviert und Initiator des Projekts, führte die Forschung im Rahmen seines Postdoktorats zusammen mit Maléna Bastien Masse, ebenfalls Postdoktorandin am SXL, durch. Für eine sinnvolle Wiederverwendung von Beton bedarf es neuer Entwurfsmethoden, die auf die Nutzung bestehender Betonelemente zugeschnitten sind. Dieses Vorgehen kehrt den herkömmlichen Ansatz, bei dem frischer Beton entsprechend den Anforderungen des jeweiligen Projekts gegossen wird, um. Der Haken hierbei ist, dass die Eigenschaften vorhandener Elemente variieren können und nicht immer im Voraus bekannt sind. Um Ingenieure bei der praktischen Umsetzung solch neuer Methoden zu unterstützen, hat das SXL vor kurzem eine Software entwickelt. Diese automatisert die Wahl der wiederzuverwendenden Bauteile aus einem vorhandenen Bestand und minimiert dabei den CO2-Fussabdruck des neuen Bauwerks (finden Sie den Download dazu hier).

Bewährungsprobe in der Praxis
In der Praxis sträuben sich Bauherren allerdings oft gegen die Wiederverwendung von Beton, weil sie darin ein zusätzliches Risiko sehen. Das Team des SXL ist jedoch davon überzeugt, dass es einige Vorteile gibt. Hier setzt ihr Projekt zum Bau eines Prototyps einer Fussgängerbrücke an: Sie wollen schnell und effizient beweisen, dass das Verfahren sicher und sinnvoll ist. "Wir hatten zwei Monate Zeit, um ein Gebäude in der Region und ein Abbruchunternehmen zu finden, das an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert war", sagt Bastien Masse. Dieses Unternehmen war Diamcoupe, das mit der Renovierung eines vor weniger als 10 Jahren errichteten Gebäudes beauftragt worden war; diese Renovierungsbaustelle war die ideale Gelegenheit, um brauchbare Betonblöcke zu beschaffen. "Wir haben Diamcoupe gebeten, die Betonelemente auf die von uns benötigten Masse zuzuschneiden und Löcher für die Spannkabel zu bohren. Diese Kabel wurden von Freyssinet geliefert und für den Bau des Bogens verwendet", fügt sie hinzu.

So erhielten die Ingenieure 20 cm dicke Betonblöcke für die Fussgängerbrücke. Zwischen die Blöcke fügten sie Mörtel, um die leichten Unterschiede in den Abmessungen auszugleichen, die bei der Wiederverwendung von Bauteilen unvermeidlich sind. "Bögen sind im Grunde die ideale Tragstruktur für die Wiederverwendung von Betonblöcken, da das Material nur Druckkräften ausgesetzt ist", sagt Brütting.

Keine andere neue Fussgängerbrücke aus Beton hat einen so kleinen ökologischen Fussabdruck wie unsere

Corentin Fivet, Tenure-Track Assistenzprofessor

Erschliessung neuer Horizonte
Dieses Projekt, finanziert durch eine ENAC Innovation-Seed-Förderung, eröffnet dem SXL vielversprechende neue Forschungshorizonte. Fivet erklärt: "Die meisten Gebäude in der Schweiz bestehen aus Beton und die Herstellung dieses Rohstoffs ist für 7 % der anthropogenen CO2-Emissionen verantwortlich. Hinzu kommt, dass Beton 35% der Abbruchabfälle ausmacht. Am Ende seiner Lebensdauer wird das Material bestenfalls zu Schotter oder Granulat zerkleinert, um daraus wiederverwertbare Objekte herzustellen - doch das verbraucht viel Energie. Wenn wir stattdessen Betonelemente zersägen und direkt wiederverwenden würden, könnten wir nicht nur die Produktion von neuem Beton vermeiden, sondern auch den entstehenden Abfall. Die Kohlenstoffemissionen dieses Prozesses wären nicht unbedingt gleich Null, aber sie würden drastisch reduziert. Somit würden wir die Notwendigkeit des Downcyclings von altem Beton hinauszögern.

Details. © 2021 EPFL

Im Rahmen dieses Kreislaufwirtschaftkonzepts würden die Abrissunternehmen, die bisher am Ende der Wertschöpfungskette standen, ebenfalls zu Produzenten werden und einen neuen Kreislauf in Gang setzen. Fivet, der seine Ausbildung als Architekt und Ingenieur absolviert hat, untersucht derzeit auch die Faktoren, die dazu führen, dass ein Gebäude überholt wird, und die architektonischen Merkmale, welche die Wiederverwendung überholter Gebäudekomponenten erleichtern würden.

Ein Appel an die gesamte Branche
Das Projekt des SXL ist ein Aufruf zum Handeln an die Bauindustrie. "Keine andere neue Fussgängerbrücke aus Beton hat einen so kleinen ökologischen Fussabdruck wie unsere", sagt Fivet. "Stellen Sie sich vor, jedes überholte Betonbauwerk würde in Blöcke geschnitten und zur Deckung der weltweiten Nachfrage nach neuem Beton verwendet. Das wäre ein grosser Schritt zur Bewältigung einiger der dringendsten Herausforderungen des Klimawandels."
Vernissage: 11. Oktober 2021 um 17:00 Uhr im Atelier PopUp des Smart Living Lab, in der Halle Bleue der blueFACTORY, Passage du Cardinal 13b, 1700 Fribourg.