Positives bewirken mit der «MAKE Assistive Technologies Challenge»

Ein modifizierter Töggelikasten für Kinder mit Zerebralparese. © 2024 EPFL/Hillary Sanctuary CC-BY-SA 4.0

Ein modifizierter Töggelikasten für Kinder mit Zerebralparese. © 2024 EPFL/Hillary Sanctuary CC-BY-SA 4.0

Engagierte Studentinnen und Studenten der EPFL entwickelten sechs Prototypen von Lösungen, die Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen helfen sollen.

Im Juni 2024 stellten im SPOT, dem Makerspace der EPFL, sechs aus Studentinnen und Studenten gebildete Teams im Rahmen der MAKE Assistive Technologies Challenge (ATC) ihre Semesterprojekte vor. Die Challenge wird vom Verein HackaHealth organisiert. Bei den anschliessend im Makerspace ausgestellten Arbeiten handelt es sich um technologische Lösungen, die den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigungen – sogenannten «Challengern» – gerecht werden sollen. In den Projekten stecken unzählige Arbeitsstunden, die insbesondere im Rahmen eines ebenfalls von HackaHealth organisierten Hackathons geleistet wurden.

«Ich bin an einer Reihe von Bildungsaktivitäten beteiligt, aber die MAKE Assistive Technologies Challenge ist für mich immer das Highlight des Jahres», berichtet Auke Ijspeert, Professor an der EPFL, der die ATC mitbetreut. «Es ist einfach wunderbar, die Leidenschaft und die Kreativität der Studentinnen und Studenten mitzuerleben und zu sehen, wie sie enge Beziehungen zu den Challengern aufbauen. Das von HackaHealth lancierte Bildungsprogramm ist eines der besten an der EPFL. Die Studentinnen und Studenten erwerben dabei zahlreiche Fach- und Managementkompetenzen. Sie entwickeln die Prototypen von A bis Z, und ihr Engagement hat positive Auswirkungen für Menschen, die bei technologischen Entwicklungen häufig auf der Strecke bleiben.» Tenure-Track-Assistenzprofessorin Josie Hughes und Professor Silvestro Micera organisieren die Veranstaltung gemeinsam mit Auke Ijspeert.

Die Herausforderung für die Studentinnen und Studenten besteht darin, interdisziplinäre Semesterprojekte zu realisieren, in denen Lösungen für konkrete Probleme von Menschen mit Beeinträchtigungen entwickelt werden. Das Programm ist so konzipiert, dass es den Studentinnen und Studenten Praxiserfahrung in der Zusammenarbeit mit den eigentlichen Endnutzerinnen und -nutzern vermittelt und gleichzeitig veranschaulicht, wie Fachkompetenzen und technisches Know-how zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden können. Von einer Open-Source-App, die Fahrten mit dem öffentlichen Verkehr in der Schweiz erleichtert, über einen modifizierten Töggelikasten für Kinder mit Zerebralparese bis hin zu Technologien, die Sehbehinderten bestimmte Interaktionen erleichtern: Alle diese Projekte sind vom Bestreben motiviert, Positives im Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen zu bewirken.

Ungewöhnliche Semesterprojekte

«Ich habe an der MAKE Assistive Technologies Challenge teilgenommen, weil ich bei einem Projekt mitarbeiten wollte, das eine positive Wirkung erzielt und jemandem helfen kann», erklärt Louis Duval, Masterstudent im Studiengang Neuro-X. Zusammen mit den anderen Mitgliedern seines Teams passte er ein Videospiel an die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderungen an. Sie modifizierten den Quellcode des Autorennspiels SuperTuxKart so, dass ein blinder Vater mit seinem Kind spielen kann, das keine Sehbehinderung aufweist. SuperTuxKart ist eine Open-Source-Software. Das Ziel des Teams bestand darin, dem blinden Vater entweder durch taktiles Feedback oder durch Sprachanweisungen Informationen über die Rennstrecke zu vermitteln. Dazu entwickelten die Studentinnen und Studenten eine Schnittstelle, die mittels Vibration sensorisches Feedback gibt, damit der Nutzer spürt, in welche Richtung er lenken muss. Ausserdem veränderte das Team das Menü, um Sehbehinderten das Navigieren zu erleichtern.

Das Autorennspiel SuperTuxKart mit taktilem Feedback, das einem blinden Vater helfen soll, mit seinem Sohn zu spielen. © 2024 EPFL/Hillary Sanctuary CC-BY-SA 4.0

Barbara de Groot, die einen Master in Robotik absolviert, arbeitete an der Entwicklung des interaktiven Spiels «Cowniverse» mit. Es ist für Kinder im Schulalter gedacht, die an einer Zerebralparese leiden. «Etwas zu schaffen, was für andere von Nutzen ist, war eine entscheidende Motivation für uns», sagt sie. Besonders wichtig war für Barbara de Groot die Teamarbeit beim Bau des Prototypen. Sie und ihr Team waren begeistert von der Herausforderung, Kinder mit Beeinträchtigungen trotz ihrer motorischen Defizite zum gemeinsamen Spielen zu ermutigen. Mit Cowniverse lernen sie, zusammenzuarbeiten und gemeinsam eine Kuh durch einen Hindernisparcours zu lotsen. Nach mehreren Tests entdeckten die Studentinnen und Studenten, dass grössere Bedienknöpfe der Schlüssel sind, um den Kindern eine benutzerfreundliche, spielerische Interaktion zu ermöglichen.

«Wir stehen in direktem Kontakt mit den Challengern und berücksichtigen ihr Feedback nach jeder Interaktion, um unseren Prototypen zu verbessern. Diese Erfahrung ist sehr wertvoll», erklärt Eliser Josan Romero, der ebenfalls den Masterstudiengang Neuro-X absolviert. Er freut sich über die Gelegenheit, Praxiserfahrung zu sammeln und auf konkrete Ziele hinzuarbeiten. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern seines Teams hat er eine App namens «Helpie» entwickelt, welche die Nutzung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz erleichtert. «Die App soll Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen helfen, mit dem öffentlichen Verkehr von A nach B zu fahren, indem sie den Prozess vereinfacht. Menschen mit kognitiven Defiziten haben oft Schwierigkeiten, die App der SBB zu nutzen. Wir wollen ihren Stress möglichst gering halten, indem wir ihnen zu mehr Autonomie verhelfen», sagt er. Im Jahr 2023 hatten Studentinnen und Studenten eine App entwickelt, um sehbehinderten Menschen zu helfen, im Zug einen freien Platz zu finden.

«Wir haben einen Töggelikasten so umgebaut, dass auch Kinder mit motorischen Schwierigkeiten mitspielen können», erklärt Armance Nouvel aus dem Masterstudiengang Robotik. «Man kann das Spiel jetzt umbauen, und wir haben die Griffe motorisiert und verlängert, damit Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten den Kindern beim Spielen helfen können.» Alle Modifikationen wurden mit Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten abgestimmt. Zum Beispiel wurden spezielle Griffe an den Enden der Stangen montiert, damit die Kinder sie besser festhalten können.

«Es ist immer spannend, Menschen mit Beeinträchtigungen Alltagsgegenstände zugänglich zu machen. In unserem Fall handelte es sich um einen halbseitig gelähmten 19-Jährigen», berichtet Alec Parrat, der einen Master in Mikrotechnik absolviert. «Er hat Schwierigkeiten, seine rechte Hand zu bewegen, und es war faszinierend, eine massgeschneiderte Spielkonsole zu entwickeln, die ihm die Nutzung beider Hände ermöglicht.» Zusammen mit den Mitgliedern seines Teams modifizierte Alec Parrat das Äussere eines Xbox-Controllers: Die Position der Tasten wurde speziell für die Hand des halbseitig gelähmten Challengers optimiert. Das Team will seine Do-it-Yourself-Strategie zur Anpassung der Spielkonsole als Open Source zur Verfügung zu stellen.

«Wir haben uns darauf konzentriert, Menschen mit Sehbehinderungen den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zu erleichtern», erklärt Linkai Dai, Masterstudent im Studiengang Life Sciences. Das Projekt seines Teams war auf die konkreten Bedürfnisse eines sehbehinderten Studenten an der EFPL ausgelegt, bietet jedoch Potenzial zur weltweiten Nutzung durch alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer ähnlichen Beeinträchtigung. Ziel des Projekts war es, die Software LaTeX – die weithin verwendet wird – mit Screenreadern kompatibel zu machen. Diese Bildschirmlesegeräte wandeln Text in Sprache um, die als Audio ausgegeben wird. LaTeX ist eine Software, mit der wissenschaftliche Artikel verfasst werden können, die komplexe Gleichungen enthalten. Das Team hat ein Plug-in entwickelt, das eine mit Screenreadern kompatible Datei erzeugt.

Cowniverse, ein Spiel für Kinder mit Zerebralparese. © 2024 EPFL/Hillary Sanctuary CC-BY-SA 4.0

Entwicklung von Prototypen unter realen Bedingungen

Die MAKE-Challenges bieten den Studentinnen und Studenten auch Gelegenheit, sich mit der Komplexität der Interdisziplinarität auseinanderzusetzen und während ihres Studiums mit den Einschränkungen der realen Welt zu arbeiten.

So fand Eliser Josan Romero es beispielsweise schwierig, innerhalb von nur einem Semester eine App in Verbindung mit proprietärem Code zu entwickeln – ganz zu schweigen davon, dass er für die Entwicklung der App eine vollkommen neue Programmiersprache lernen musste. Gemeistert hat das Team diese Herausforderungen mit «Online-Kursen und schlaflosen Nächten», scherzt er.

Alec Parrat und sein Team standen indessen vor der komplexen Aufgabe, ein kommerzielles Produkt wie die Xbox zu modifizieren. «Unsere grösste Herausforderung bestand darin, dass wir keinen Zugang zu den technischen Spezifikationen hatten. Wir mussten unser Projekt anpassen, denn wir konnten nur das Äussere verändern und durften die ursprünglichen Schaltkreise nicht antasten. Dank der Expertise des Assistenten- und Technikerteams des SPOT, das uns mit seinem Know-how beim Löten, in der Elektronik und im 3D-Druck unterstützte, ist es uns gelungen, ein Produkt von professioneller Qualität herzustellen.»

Zur Entwicklung des Plug-ins für LaTeX sagt Linkai Dai, dass es bei dem Projekt zwar vor allem darum ging, Code zu ändern, aber «dass wir im SPOT waren, hat die Teamarbeit und Besprechungen vereinfacht.»


Autor: Hillary Sanctuary

Source: EPFL

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