Meteorologische Radiosonden finden Weg zurück

Yohan Hadji vor dem Start durch MeteoSchweiz. © 2024 Yohan Hadji
80 Prozent der weltweit lancierten meteorologischen Radiosonden, die grösstenteils aus Kunststoff und elektronischen Elementen bestehen, gehen nach nur einem Flug für immer in der Natur verloren. Ein von einem Studenten der EPFL gegründetes Start-up hat einen ultraleichten Gleiter entwickelt, der den Sonden die automatische Rückkehr zum Ausgangspunkt ermöglicht.
Wetterballons mit Radiosonden werden in vielen Ländern zweimal täglich gestartet und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Wettervorhersage und zur Verbesserung von Klimamodellen. Während ihres fast zweistündigen Aufstiegs in die Stratosphäre liefern die dabei mitgeführten Sonden Messdaten zum Wind, zur Temperatur, zum Druck und zur Luftfeuchtigkeit in verschiedenen Höhen. In fast 35'000 Metern Höhe bringt der niedrige Druck die meist mit Wasserstoff gefüllten Ballons in der Regel zum Platzen. Die Sonden werden abgeworfen und verlieren sich in den Luftströmen. Manche fallen ins Wasser oder landen an für Menschen unzugänglichen oder allzu entlegenen Orten. Etwa 80 Prozent der rund 600'000 Sonden, die jedes Jahr weltweit lanciert werden und Batterien, elektronische Komponenten oder Kunststoff enthalten, werden nie wiedergefunden. Ein Masterstudent der EPFL hat für dieses Problem nun eine Lösung gefunden: ein System, das die Sonde automatisch zu einem im Voraus festgelegten Ort zurückführt. Das System wurde in diesem Sommer bereits von MeteoSchweiz getestet und stösst auch bei anderen Wetterdiensten der Welt auf Interesse. «Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, Kroatien und Kanada wollen Tests damit durchführen», erzählt Yohan Hadji, der nun ein Start-up zur Vermarktung seiner Erfindung gegründet hat: R2Home.
Ein Algorithmus, der die beim Aufstieg gemessenen Winde berücksichtigt
Damit die Sonden den Weg zurück finden, werden sie in einem kleinen Schaumstoffgleiter mit einem Leitsystem transportiert. Dieser muss beim Aufstieg vom Ballon gezogen werden und wiegt deshalb lediglich 250 Gramm. «Es handelt sich um eine normale Wettersonde in einem flügelförmigen Gehäuse», beschreibt es der Jungunternehmer. «Das System ist klein und leicht genug, um nach den Kriterien des Bundesamts für Zivilluftfahrt BAZL in dieselbe Kategorie wie herkömmliche Sonden eingestuft zu werden.» Die Algorithmen für das Leitsystem berechnen die ideale Flugbahn und steuern das Fluggerät so, dass es zum Ausgangspunkt oder einem anderen im Voraus festgelegten, vom GPS aufgezeichneten Punkt zurückkehrt. Das ist technisch eine echte Herausforderung, denn zur Steuerung eines so leichten Schaumstoffgleiters musste «ein Algorithmus entwickelt werden, der die beim Aufstieg gemessenen Winde berücksichtigt, die in bestimmten Höhenlagen mehr als 200 km/h stark sind», betont Hadji.
Es musste ein Algorithmus entwickelt werden, der die beim Aufstieg gemessenen Winde berücksichtigt, die in bestimmten Höhenlagen mehr als 200 km/h stark sind.
Der Jungunternehmer konnte die Wetterfachleute sowie die Verantwortlichen im BAZL von der Seriosität und Zuverlässigkeit seines Geräts überzeugen. Letztere boten ihm die Gelegenheit, die erste Flüge unter realen Bedingungen durchzuführen. Das System wurde rund 60 Mal in der Schweiz getestet, zehnmal davon im Sommer 2024 in der aerologischen Station in Payerne, dem Zentrum für Messtechnologien von MeteoSchweiz. Mit beeindruckender Präzision landete der kleine Gleiter jedes Mal in einem Umkreis von 15 Metern um das Ziel. «Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Jetzt muss noch die Fähigkeit des Geräts, bei verschiedenen komplexeren meteorologischen Bedingungen an den Ausgangspunkt zurückzukehren, getestet werden», sagt Yves-Alain Roulet, Leiter der Abteilung Messtechnik bei MeteoSchweiz. Während weltweit lediglich 20 Prozent aller Sonden wiedergefunden werden, schneidet die Schweiz deutlich besser ab: Hier sind es 75 Prozent. «Dieser hohe Anteil ist darauf zurückzuführen, dass die Gemeinschaft der Sondenjägerinnen und -jäger in der Schweiz sehr aktiv ist», erklärt Yohan Hadji. Dennoch werden weniger als 1 Prozent aller Sonden für einen zweiten Flug wiederverwendet, denn die Zeit in der Natur kann den Temperatur- und Feuchtigkeitssensor beschädigen. «Bei dem von mir entwickelten System könnte MeteoSchweiz sich vergewissern, dass die Sensoren nicht beschädigt sind, und die Sonden für weitere Flüge benutzen», schliesst er.
Da die Rückkehr der Sonden an Bord ihres stromlinienförmigen Gehäuses keine Garantie für die Genauigkeit der Messungen ist, hat MeteoSchweiz Vergleichsmessungen durchgeführt. «Die ersten Tests deuten darauf hin, dass der Unterschied zwischen den Daten der Vergleichssonde und jenen der Radiosonde im Gleiter von R2Home minimal ist. Auch hier muss die erste Analyse durch zusätzliche Flüge bestätigt werden, insbesondere unter atmosphärischen Bedingungen, die alle Jahreszeiten repräsentieren», fügt der Experte von MeteoSchweiz hinzu. Diese vielversprechenden Ergebnisse haben Yohan Hadji die Türen zur grossen weltweiten Konferenz der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) über Beobachtungsinstrumente und -methoden in der Meteorologie (TECO) geöffnet, die Ende September 2024 in Wien stattfand. Das ist ein neuer Meilenstein für den 20-Jährigen, der 2019 mit der Arbeit an seinem Projekt begann, als er noch Schüler in Grenoble war.
Seit fünf Jahren erreicht der Jungunternehmer rasch einen Meilenstein nach dem anderen und hat bisher trotz Gegenwind noch jedes Hindernis überwunden: «Bis 2023 bin ich beispielsweise davon ausgegangen, dass ich einen Fallschirm und keinen Schaumstoffgleiter benutzen würde. Doch damit gab es Probleme beim Einsatz in sehr grossen Höhen.» Dennoch könnte er versuchen, dieses System in Zukunft weiterzuentwickeln, denn «es ist nach wie vor interessant für schwerere und teurere Nutzlasten».
Tests bei ausländischen Wetterdiensten
Dank der Förderung im Rahmen des Programms Blaze der EPFL, der Stiftung für technische Innovation (FIT) und der Stiftung Sylvie Rusconi seit 2022 sowie zuletzt durch das Programm Venture Kick hat die Entwicklung Fahrt aufgenommen. Testkampagnen mit den Wetterdiensten anderer interessierter Länder sind in Vorbereitung. Das Start-up wurde zudem vor Kurzem vom Schweizer Unternehmen Meteomatics, einem weltweit führenden Anbieter von Wetterinformationen, übernommen. Die zahlreichen Sondenjägerinnen und -jäger, die im Land unterwegs sind, um die Geräte zu ihrer Basis zurückzubringen, werden daher womöglich bald mit leeren Händen zurückkehren.